Das "schwarze Schaf" der Klimapolitik wehrt sich: Ex-Premier Jerzy Buzek
kritisiert die "kühne" deutsche Energiewende – und erinnert daran, dass
auch Deutschland neue Kohlekraftwerke baut.
Von
Gerhard Gnauck
Das überdachte
Nationalstadion am Warschauer Ufer der Weichsel, vor einem Jahr zur
Fußball-EM gebaut, hat eine neue Bestimmung gefunden: Hier tagt bis Ende
dieser Woche der internationale Klimagipfel. Am Wochenende
demonstrierten vor dem Stadion etwa 2000 Klimaschützer mit einer
aufgeblasenen Erdkugel für ihre Ziele. Die europäische Grünen-Chefin
Rebecca Harms kritisierte die Energiepolitik Polens, das 90 Prozent
seines Stroms aus Kohle gewinnt. Der Gastgeber stand während der
Konferenz immer wieder im Mittelpunkt der Kritik.
Jetzt melden
sich die Angegriffenen zu Wort: Wirtschaftsminister Janusz Piechocinski
warnte auf einem Wirtschaftsforum vor "unrealistischen" Zielen der
Europäer. "Mindestens zwölf Länder auf der Welt" hätten große Pläne zur
Steigerung der Kohleförderung. Indien etwa wolle den Umfang seiner
Kohleverstromung verzehnfachen.
Polens
Ex-Premier Jerzy Buzek forderte die Kritiker Warschaus zur
"Zurückhaltung" auf. Im Gespräch mit der "Welt" sagte der
Europa-Abgeordnete: "Polen ist kein schwarzes Schaf. Deutschland plant
oder baut gerade selbst zwölf neue Kohlekraftwerksblöcke." Tschechien,
Rumänien und die Niederlande planten ebenfalls Neubauten. Er blicke mit
Respekt auf die "sehr kühne Energiewende" in Deutschland. Aber die
Subventionen für erneuerbare Stromgewinnung sollten, "wie die
Subventionen für alle anderen Energiequellen, abgeschafft werden, außer
jenen für Mittel zum Energiesparen".
"Neue Kohlekraftwerksblöcke stoßen heute bei gleicher elektrischer Leistung bereits 30 Prozent weniger CO2
aus als alte", sagte der Energieexperte Buzek, der bis 2012 Präsident
des Europaparlaments war. Dieser Wert ließe sich mit modernsten Methoden
der Kraft-Wärme-Koppelung bereits in nächster Zukunft auf fast 50
Prozent steigern, mit der CCS-Technik werde CO2 sogar fast völlig
beseitigt. Polen habe umgerechnet fast 50 Millionen Euro in sein neues
"Zentrum für saubere Kohletechnologien" gesteckt. Das in diesem Jahr in
Oberschlesien eröffnete Zentrum erforscht in einem Versuchsbergwerk
umweltfreundliche Verfahren wie Kohlevergasung und
Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung.
Polen bei CO2-Ausstoß auf Rang zehn
Polen liegt in der EU laut Eurostat beim CO2-Ausstoß
pro Kopf auf Platz zehn. Das Land wird nach Buzeks Berechnung die für
2020 beschlossenen EU-Klimaziele, darunter die Senkung der Emissionen um
20 Prozent, erreichen. "Die EU als Ganzes wird es beim Ziel der
Energieeffizienz schwerer haben. Und die Länder Ostmitteleuropas hatten
schwierigere Startbedingungen, um ehrgeizige Klimaziele durchzusetzen.
Brüssel sollte das stärker berücksichtigen."
Überhaupt
generiere die EU nur etwa zehn Prozent der weltweiten Emissionen, und
der Kohleverbrauch werde bis 2030 weltweit um ein Drittel zunehmen.
"Wenn wir in der Klimapolitik Anführer sein wollen, und niemand folgt
unserem Beispiel, dann sind wir kein Anführer mehr. Wir sollten nicht
die Kohle bekämpfen, sondern das CO2, also müssen wir lernen,
Kohle umweltfreundlich zu nutzen." Auch müsse die EU ihre
wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und damit ihre Arbeitsplätze
erhalten.
Buzek
kritisierte, dass das Gesetz über erneuerbare Energien in Polen immer
noch nicht verabschiedet sei. Das Land stehe vor großen Entscheidungen:
"In zwei, drei Jahren wird sich zeigen, ob Schiefergas in Polen
wirtschaftlich sinnvoll gefördert werden kann. Wenn das klar ist, wird
die Regierung auch über die Kernkraft entscheiden, also 2015/16. Ein
Kernkraftwerk zu bauen ist sehr teuer. Aber wenn ein Land Kernkraft
nutzt, macht es in vieler Hinsicht einen technologischen Sprung nach
vorn."
Deutschland rutscht beim Klimaschutz ab
Deutschland ist
im internationalen Klimaschutz-Index 2014 erstmals aus den Top Ten
gefallen. Wie die Umweltorganisationen Germanwatch und Climate Action
Network Europe (CAN-E) am Montag am Rande des Weltklimagipfels
mitteilten, rutschte die Bundesrepublik von Platz 8 auf Platz 19 und
gehöre damit zu den großen Absteigern des Ländervergleichs.
- "Deutschland verliert vor allem wegen seiner Unentschiedenheit in Sachen Reform des Emissionshandels und wegen seiner Blockade der EU-Richtlinien für spritsparende Autos und Energieeffizienz", hieß es. Das jährliche Ranking will zeigen, wie sehr sich Staaten um Klimaschutz bemühen. Weil nach Ansicht der Aktivisten keines der 58 Länder mit dem größten CO2-Ausstoß genug gegen die Erderwärmung tut, bleiben die ersten drei Plätze der Liste frei.
Dänemark konnte
seinen vierten Platz und damit den besten Rang im Index verteidigen;
Großbritannien rückte vom zehnten auf den fünften Platz vor. Kanada auf
Platz 58 und Australien auf Platz 57 schnitten unter den
Industriestaaten am schlechtesten ab. Dahinter lagen nur noch der Iran
(59), Kasachstan (60) und Saudi-Arabien (61).
Die beiden
weltweit größten Emittenten – China und USA – platzierten sich im
unteren Mittelfeld. China verbesserte sich auf Platz 46. Jüngste Daten
zeigten einen langsameren Anstieg der chinesischen Emissionen und eine
Entkopplung des CO2-Ausstoßes vom Wirtschaftswachstum. Sowohl
massive Investitionen in erneuerbare Energien als auch Kritik an der
Kohleverstromung aus der chinesischen Führung nährten die Hoffnung auf
eine weitere Verlangsamung des CO2-Emissionsanstiegs. Auch in den USA (Rang 43) sei eine "aktivere Politik zur Einschränkung der Kohleverstromung" zu beobachten.
18/11/13
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