Tuesday, November 19, 2013

Klimapolitik: Polen weist Kritik zurück und zeigt auf Deutschland.

Das "schwarze Schaf" der Klimapolitik wehrt sich: Ex-Premier Jerzy Buzek kritisiert die "kühne" deutsche Energiewende – und erinnert daran, dass auch Deutschland neue Kohlekraftwerke baut. 

Von Gerhard Gnauck
Das überdachte Nationalstadion am Warschauer Ufer der Weichsel, vor einem Jahr zur Fußball-EM gebaut, hat eine neue Bestimmung gefunden: Hier tagt bis Ende dieser Woche der internationale Klimagipfel. Am Wochenende demonstrierten vor dem Stadion etwa 2000 Klimaschützer mit einer aufgeblasenen Erdkugel für ihre Ziele. Die europäische Grünen-Chefin Rebecca Harms kritisierte die Energiepolitik Polens, das 90 Prozent seines Stroms aus Kohle gewinnt. Der Gastgeber stand während der Konferenz immer wieder im Mittelpunkt der Kritik.

Jetzt melden sich die Angegriffenen zu Wort: Wirtschaftsminister Janusz Piechocinski warnte auf einem Wirtschaftsforum vor "unrealistischen" Zielen der Europäer. "Mindestens zwölf Länder auf der Welt" hätten große Pläne zur Steigerung der Kohleförderung. Indien etwa wolle den Umfang seiner Kohleverstromung verzehnfachen.
Polens Ex-Premier Jerzy Buzek forderte die Kritiker Warschaus zur "Zurückhaltung" auf. Im Gespräch mit der "Welt" sagte der Europa-Abgeordnete: "Polen ist kein schwarzes Schaf. Deutschland plant oder baut gerade selbst zwölf neue Kohlekraftwerksblöcke." Tschechien, Rumänien und die Niederlande planten ebenfalls Neubauten. Er blicke mit Respekt auf die "sehr kühne Energiewende" in Deutschland. Aber die Subventionen für erneuerbare Stromgewinnung sollten, "wie die Subventionen für alle anderen Energiequellen, abgeschafft werden, außer jenen für Mittel zum Energiesparen".
"Neue Kohlekraftwerksblöcke stoßen heute bei gleicher elektrischer Leistung bereits 30 Prozent weniger CO2 aus als alte", sagte der Energieexperte Buzek, der bis 2012 Präsident des Europaparlaments war. Dieser Wert ließe sich mit modernsten Methoden der Kraft-Wärme-Koppelung bereits in nächster Zukunft auf fast 50 Prozent steigern, mit der CCS-Technik werde CO2 sogar fast völlig beseitigt. Polen habe umgerechnet fast 50 Millionen Euro in sein neues "Zentrum für saubere Kohletechnologien" gesteckt. Das in diesem Jahr in Oberschlesien eröffnete Zentrum erforscht in einem Versuchsbergwerk umweltfreundliche Verfahren wie Kohlevergasung und Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung.

Polen bei CO2-Ausstoß auf Rang zehn

Polen liegt in der EU laut Eurostat beim CO2-Ausstoß pro Kopf auf Platz zehn. Das Land wird nach Buzeks Berechnung die für 2020 beschlossenen EU-Klimaziele, darunter die Senkung der Emissionen um 20 Prozent, erreichen. "Die EU als Ganzes wird es beim Ziel der Energieeffizienz schwerer haben. Und die Länder Ostmitteleuropas hatten schwierigere Startbedingungen, um ehrgeizige Klimaziele durchzusetzen. Brüssel sollte das stärker berücksichtigen."
Überhaupt generiere die EU nur etwa zehn Prozent der weltweiten Emissionen, und der Kohleverbrauch werde bis 2030 weltweit um ein Drittel zunehmen. "Wenn wir in der Klimapolitik Anführer sein wollen, und niemand folgt unserem Beispiel, dann sind wir kein Anführer mehr. Wir sollten nicht die Kohle bekämpfen, sondern das CO2, also müssen wir lernen, Kohle umweltfreundlich zu nutzen." Auch müsse die EU ihre wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und damit ihre Arbeitsplätze erhalten.
Buzek kritisierte, dass das Gesetz über erneuerbare Energien in Polen immer noch nicht verabschiedet sei. Das Land stehe vor großen Entscheidungen: "In zwei, drei Jahren wird sich zeigen, ob Schiefergas in Polen wirtschaftlich sinnvoll gefördert werden kann. Wenn das klar ist, wird die Regierung auch über die Kernkraft entscheiden, also 2015/16. Ein Kernkraftwerk zu bauen ist sehr teuer. Aber wenn ein Land Kernkraft nutzt, macht es in vieler Hinsicht einen technologischen Sprung nach vorn."

Deutschland rutscht beim Klimaschutz ab

Deutschland ist im internationalen Klimaschutz-Index 2014 erstmals aus den Top Ten gefallen. Wie die Umweltorganisationen Germanwatch und Climate Action Network Europe (CAN-E) am Montag am Rande des Weltklimagipfels mitteilten, rutschte die Bundesrepublik von Platz 8 auf Platz 19 und gehöre damit zu den großen Absteigern des Ländervergleichs.
  • "Deutschland verliert vor allem wegen seiner Unentschiedenheit in Sachen Reform des Emissionshandels und wegen seiner Blockade der EU-Richtlinien für spritsparende Autos und Energieeffizienz", hieß es. Das jährliche Ranking will zeigen, wie sehr sich Staaten um Klimaschutz bemühen. Weil nach Ansicht der Aktivisten keines der 58 Länder mit dem größten CO2-Ausstoß genug gegen die Erderwärmung tut, bleiben die ersten drei Plätze der Liste frei.
Dänemark konnte seinen vierten Platz und damit den besten Rang im Index verteidigen; Großbritannien rückte vom zehnten auf den fünften Platz vor. Kanada auf Platz 58 und Australien auf Platz 57 schnitten unter den Industriestaaten am schlechtesten ab. Dahinter lagen nur noch der Iran (59), Kasachstan (60) und Saudi-Arabien (61).
Die beiden weltweit größten Emittenten – China und USA – platzierten sich im unteren Mittelfeld. China verbesserte sich auf Platz 46. Jüngste Daten zeigten einen langsameren Anstieg der chinesischen Emissionen und eine Entkopplung des CO2-Ausstoßes vom Wirtschaftswachstum. Sowohl massive Investitionen in erneuerbare Energien als auch Kritik an der Kohleverstromung aus der chinesischen Führung nährten die Hoffnung auf eine weitere Verlangsamung des CO2-Emissionsanstiegs. Auch in den USA (Rang 43) sei eine "aktivere Politik zur Einschränkung der Kohleverstromung" zu beobachten.
18/11/13
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